Gedanken ordnen im Oberstdorfer Nebelmeer – Ein Willkommensgruß an den Herbst

Wegfahren, um anzukommen: Wenn der Nebel die Sicht versperrt und Du dennoch oder gerade deswegen wieder klar siehst.

Ach Alltag, Du wunderbar schnelllebiger Routinier. So gerne wir uns in Dir verlieren, so gerne möchten wir Dir auch und immer häufiger entfliehen. Ausbrechen. Chaos ordnen. Zeit anhalten. Zu uns finden.

Monatsanfang – wieder einmal. War nicht eben noch Sommer? Wie kommt es, dass wir schon wieder mit Mützen, Schals und dicken Wollmänteln herumlaufen? Hat der Tag wirklich noch 24 Stunden? Die Zeit, sie fliegt. Oder erleben wir einfach mehr? Diese Fragen, quälend präsent, die sich so viele von uns stellen und worauf wohl kaum jemand wirklich Antwort geben kann.

Vor zwei Wochen machten wir uns über den Feiertag auf ins Allgäu, nach Oberstdorf. Unser Versuch, um raus und wieder einmal zur Ruhe zu kommen – und der Versuch die Zeit anzuhalten. Oder zumindest einmal, sie festzuhalten.

Einige Fahrtstunden und Staus später – seltsam plötzlich Stand nicht nur das Auto, sondern auch, wie zuvor noch gewünscht, die Zeit still… ;) – kamen wir am Donnerstag gegen 22:15 Uhr müde aber voller Vorfreude auf die kommenden Tage der Zuflucht in Oberstdorf an. Unsere kleine Junior-Suite im Hotel Geldernhaus läutete die Zeit der Gemütlichkeit ein: Knarzende Holzdielen, antikes Mobiliar, im Landhaus-Stil liebevoll arrangiert und mit genügend Platz für uns und unsere Pläne.

Am Freitagmorgen ging es nach einem ausgiebigen Frühstück für uns los – die Bergluft rief. Gut eingepackt und bepackt mit Proviant, Vliespullis, Regenjacken und sogar Handschuhen stiefelten wir durch das Tal, auf die Allgäuer Hochalpen zu.

Am Freibergsee vorbei, dorthin, wo die Wolken wohnen

Die Sonne kämpfte sich ihren Weg durch die Wolkendecke, bis sie uns auf den kalten, geröteten Nasen kitzelte und ließ unsere rosigen Wangen vor allem nach den ersten Höhenmetern auf dem Pfad zum Freibergsee noch mehr glühen.

Wie gut das tat. Stehenbleiben, das Gesicht der Sonne entgegengestreckt, die Augen geschlossen haltend. Einatmen. Durchatmen. Innehalten. Es war so schön wieder Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Gerade weil sie so kühl war, fiel es mir umso leichter meinen Gedanken nachzugehen, sie zu ordnen und ein bisschen Klarheit in das vom alltäglichen Trubel angekurbelte Chaos zu bringen. Besonders wenn mich innerlich vieles bewegt. Sei es der Weltschmerz, beim Blick auf aktuelle Geschehnisse und der noch immer so weiten Entfernung hin zu einem klimabewussten, nachhaltigen Umgang mit der Natur und unseren täglichen Entscheidungen. Oder sei es meine innere Unruhe und Zweifel an persönlichen Entwicklungen. Draußen sein tut einfach gut, verbessert den Zustand der Seele auf Anhieb :).

Nachdem wir den See passiert hatten, hieß es erst einmal Zähne zusammenbeißen und hoch hinaus marschieren: Der Anstieg durch den Wald hinauf über die Wolken hatte es wirklich in sich. Mit dem See ließen wir auch die Sonne zurück, stattdessen wurde dichter Nebel zu unserem Begleiter hinauf zum Fellhorn, dem ersten Ziel unserer Wanderung.

Das Laub unter den Füßen wurde etwas rutschig, Wege sandiger und die Luftfeuchtigkeit stieg an. „Der Herbst hat endgültig Einzug erhalten“, dachte ich, während ich mir meine feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. Und mit diesem herbstlichen Wetter umgab uns auch eine ganz besondere Atmosphäre. Noch nie zuvor bin ich in solch einem Nebel gewandert. Er verdichtete sich immer mehr, je weiter wir aufstiegen. Es wurde plötzlich noch ruhiger- fast dumpf. Bis auf mein Atmen und Padis Schritte vor mir nahm ich keine weiteren Geräusche wahr. Es fühlte sich tatsächlich so an, als ob die Zeit still stand. Wie in einer Schneekugel, nur ohne die dazugehörenden Flocken. Einfach wunderschön. Als ob die Berge nur für uns hier wären, Raum und Zeit irgendwie miteinander verschmolzen – und wir mittendrin.

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Durch den Nebel zur klaren Sicht – auf das Fellhorn und die wesentlichen Dinge

Über das Söllereck und den Schlappoldkopf ging es für uns noch weiter hoch, hinauf zum Fellhorn. Kurz vor dem Gipfel bot sich uns ein spektakuläres Naturschauspiel. Gerade noch konnten wir mit Müh und Not ein paar Gräser erkennen, da fing sich der Nebel an zu lichten – es eröffnete sich uns eine glasklare Sicht auf die Gebirgskette der Alpen. So pur, echt und einfach wunderschön.

Etwa vier Stunden, zwölf Kilometer und 1300 Höhenmeter nach Tour-Beginn erreichten wir dann schließlich sehr sehr glücklich, wenn auch etwas k.o., unseren Tagesgipfel: Das Fellhorn. Normalerweise eile ich stets zum Gipfelkreuz oder halte Ausschau nach einem Gipfelbuch, um mich einzutragen bevor ich die Aussicht genieße und während die Anstrengung langsam von mir abfällt. Diesmal aber raubte mir der Anblick schlicht den Atem. Alle Last fiel schlagartig von mir ab, die Natur, sie machte mich wiedermal sprachlos und zog mich direkt in ihren Bann. Oben auf dem Gipfel zu stehen und die Berge über der Nebeldecke so klar und so roh zu sehen – das hat alle Mühe bezahlt gemacht. Die Bilder sprechen für sich.

Vom Fellhorn zurück nach Oberstdorf – nicht ohne eine Stärkung im Restaurant der Gipfelstation

Nachdem wir die Aussicht genossen und wieder klare Gedanken gefasst hatten, machten wir uns auf zur Gipfelstation, wo wir uns bei unserer Einkehr zwei leckere Apfelstrudel mit Vanilleeis und jeweils eine heiße Schokolade zum Aufwärmen gönnten. Der Tag war einfach herrlich. Gerade weil er Wetter-technisch so grau, grob und herbstlich-ungemütlich daherkam, wurde die Wanderung zu etwas ganz Besonderem. Denn dieser Schein trog. Das raue Nass, das in der Luft lag und die zwischendurch beschränkte Aussicht, halfen, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren: Auf sich selbst. Die stumme Landschaft rückte mich in den Mittelpunkt meiner Gedanken und meiner Gegenwart. Statt sich in einer ungewissen Zukunft mit vielen offenen Fragen zu verlieren, besann ich mich auf das Jetzt und darauf, in mich hineinzuhören und dem nachzugehen, was mir gerade gut tut.

Gestärkt ging es nach unserem kurzen und sehr leckeren Aufenthalt im Restaurant für uns zurück nach Oberstdorf – diesmal allerdings mit der Fellhornbahn. Von der Talstation Fellhorn/Kanzelwand ging es zu Fuß noch etwa sieben Kilometer weiter nach Faistenoy, anschließend über Ringang und Schwand erneut vorbei an der Heiniklopfer Skiflug Schanze am Freibeergsee zurück nach Oberstdorf. Um 17 Uhr erreichten wir dann glücklich und zufrieden wieder unser Hotel.

Fazit – Immer wieder

Eine kurzweilige, doch anstrengende aber nicht sehr anspruchsvolle Tour, die bei klarer Sicht gigantische Panoramen liefert. Das Fellhorn mag oft im Schatten des berühmten Nebelhorns stehen, steht im jedoch in nichts nach – im Gegenteil. Wir hatten einen super schönen, ruhigen Tag, an welchen wir gerne zurückdenken werden. Ein toller Einstieg in unser verdientes Wochenende fernab unseres alltäglichen Wahnsinns :). Große Empfehlung!


Eckdaten:

Oberstdorf- Freibergsee – Söllereck – Schlappoldkopf – Fellhorn –  Talstation Fellhorn/Kanzelwand – Faistenoy – Ringang – Schwand – Heini-Klopfer-Skiflugschanze – Freibergsee – Oberstdorf .

Länge ca. 20km – Höhenmeter ca. 1300m – Dauer ca. 6 1/2h inkl. Pausen (4h von Oberstdorf hinauf zum Gipfelkreuz des Fellhorns) – Start in Oberstdorf: 10:20 Uhr – Ankunft auf dem Gipfel: 14:30 Uhr – Schanze: circa 16:35 Uhr – Zurück in Oberstdorf: gegen 17:00 Uhr.


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2 Kommentare zu „Gedanken ordnen im Oberstdorfer Nebelmeer – Ein Willkommensgruß an den Herbst

  1. Was für ein toller Beitrag. Wunderschöne Fotos und Beschreibungen einer tollen Tour und sehr wahre Worte: Raus in die Natur tut einfach gut! Das merke ich auch immer wieder, selbst wenn es nur ein kleiner Spaziergang über die Felder ist.

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